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Tiziano Terzani wird als Journalist und langjähriger Auslandskorrespondent des SPIEGEL Augenzeuge der großen gesellschaftlichen Umwälzungen im fernen Asien, über deren Hintergründe, Hoffnungen und Enttäuschungen er in seinen Reportagen berichtet. Am Ende seines Lebens kommt er zu dem Schluss, dass alle Revolutionen nicht fruchten, wenn sich der Mensch nicht grundlegend ändert. In der Einsamkeit des Himalaya beginnt er, die Welt in einem neuen Licht zu betrachten, und trifft den Entschluss, sich noch einmal mit seinem Sohn Folco zusammenzusetzen und seine Lebenserfahrungen an ihn weiterzugeben. Das daraus entstandene Buch "Das Ende ist mein Anfang" liefert die Kurztexte zu den Bildern.
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todesangst Was ist es, was uns am Tod so ängstigt? Was uns vor Angst erstarren lässt, ist die Vorstellung, dass in dem Moment alles, woran wir hängen, verschwindet. Bad Kissingen, 2013 |
identitätsverlust Wir glauben all das zu sein, was wir mit dem Tode zu verlieren fürchten. Unsere Identität. Da hast du dich mit deinem Beruf identifiziert, Journalist, Rechtsanwalt, Bankdirektor, ... Und dann alles, was dir gehört - das Fahrrad, das Auto, ein wertvolles Bild, das du dir mit den Ersparnissen deines Lebens gekauft hast, ein Grundstück, ein Häuschen am Meer. Alles deins! Und jetzt stirbst du und verlierst es. Abel-Tasman-Nationalpark, Neuseeland, 2010 |
bedürfnisse Wenn du anfängst, es genauer zu betrachten, was ist dieses Verlangen dann? Was sind die Bedürfnisse, denen du dich nicht entziehen kannst? Vor allem heute, in dieser Gesellschaft, die uns dazu drängt, Bedürfnisse zu erfinden und besonders den banalsten, den materiellen nachzugehen, denen aus dem Supermarkt. Das Verlangen nach diesen Dingen ist nutzlos, banal, lächerlich. Das wahre Verlangen, wenn man denn eines will, ist das Verlangen, man selbst zu sein. München, 2013 |
unfassbar Wenn du das so siehst, dass du wieder Teil von all dem wirst, dann ist das, was von dir bleibt, vielleicht dieses unteilbare Leben, diese Kraft, diese Intelligenz, die du mit einem Bart schmücken und Gott nennen kannst, auch wenn sie etwas ist, was unser Denken nicht fassen kann, vielleicht der große Geist, der alles zusammenhält. Christchurch, Neuseeland, 2010 |
der rote faden „Donnerwetter, da ist ja ein roter Faden!“ Vorher bemerkst du ihn nicht, und doch ist er da. Denn du glaubst, dass all deine Entscheidungen dem freien Willen entspringen, aber das ist völliger Unsinn! Sie werden vielmehr von etwas bestimmt, was tief in dir drin liegt, einer Art Instinkt; und vielleicht auch vom Karma, wie deine indischen Freunde es nennen. Das erklärt für sie alles, auch was für uns unerklärlich ist. Queenstown, Neuseeland, 2010 |
gewalt Immer wieder gibt es Revolutionen, Kriege, furchtbare Massaker, doch hinterher ist alles wie zuvor - Gewalt, Angst, Verzweiflung und Elend nehmen nicht ab, die innere Welt kommt nicht voran. Keinen Zentimeter. Holocaust-Gedenkstätte, Berlin, 2011 |
evolution Ich glaube, die Lösung ist, an sich selbst zu arbeiten. Wirst du selbst besser, machst du etwas aus dir, wirst du dir bewusst, wie sinnlos alles andere ist, dann kannst du womöglich den Grundstein für etwas Großes legen, etwas, was ich für wesentlich halte: die Evolution des Menschen auf eine höhere Stufe. Sorgun, Türkei, 2013 |
stillstand Irgendwann hatte ich das Gefühl, mitten in der Furt zu stehen. Zurück konnte ich nicht mehr, schließlich hatte ich den Eindruck, einen gewaltigen Schritt voran getan zu haben. Doch ich konnte auch nicht einfach ans andere Ufer waten und sagen: „Da bin ich, nun bin ich einer von euch!“ Bremen, 2016 |
rastlos Alles bin ich gewesen, wie alle anderen auch, und immer wieder etwas anderes. Vieles davon war echt und intensiv, doch immer wieder hat das eine das andere ersetzt, wie bei einem Fernglas, das sich stets auf etwas Neues richtet. Salzgitter, 2013 |
maskenball Lange Zeit bin ich eine unendliche Folge von Masken gewesen, jede einzelne wahr, jede einzelne falsch, denn mit der Zeit wandeln sie sich, und immer wieder geht eine in die nächste über. Das ist eine Wahrheit, die alle Weisen begriffen haben: Es gibt keine Beständigkeit. Nichts im Leben ist beständig, nichts. Bad Kissingen, 2013 |
federleicht Und das gibt mir das Gefühl enormer Freiheit. Ich fühle mich leicht. Ich spüre, dass mich nichts mehr berührt, denn ich bin weder diese oder jene Maske, noch dieser Körper, noch meine Erinnerungen ... Ich bin etwas, was viel größer, viel kleiner, viel gewaltiger ist, doch all diese einzelnen Dinge bin ich nicht. Elba, Italien, 2003 |
die banalität des guten Da gibt es diese Geschichte von dem armen Mönch - wie hieß er noch gleich? - der sein Leben lang auf die Erleuchtung wartete. „Wenn sie wenigstens ein einziges Mal über mich kommen würde! Doch schon wieder ist sie über jemand anderen gekommen, und ausgerechnet auf der Autobahn!“ Kärnten, Österreich, 2003 |
worte Es gibt Dinge, Ereignisse, Worte, die dich streifen, ohne dir etwas zu sagen. Später aber, in einer ganz anderen Situation kann genau das gleiche Wort womöglich dein ganzes Leben verändern. München, 2013 |
stolpersteine „Die Wahrheit ist ein Land ohne Wege“. Wer läuft, der findet. Keiner sagt dir: „Schau, das ist der Weg zur Wahrheit!“ Das kann nicht gehen. Auf eingefahrenen Gleisen wirst du nie etwas Neues entdecken. Wie denn auch? Genauso ist es mit der Suche. Wer schon weiß, was er sucht, wird nie finden, was er nicht sucht … Kiel, 2013 |
septempunctata Und ich hatte plötzlich das Gefühl, dieser Marienkäfer zu sein, ... nicht ein Elefant, sondern dieser Marienkäfer! Ich folgte ihm mit dem Blick, er krabbelte hierhin und dorthin, und schließlich gelangte er ans Ende eines Grashalms, breitete seine kleinen, samtigen Flügel aus und - hui! - flog er davon. Doch nicht etwa zu einem anderen Grashalm, ins Unendliche! Henne Strand, Dänemark, 2014 |
aufstieg Kommst du an eine Gabelung, an der ein Weg nach oben und einer nach unten führt, nimm den nach oben. Bergab zu gehen ist zwar weniger mühsam, aber am Ende gerätst du in eine Kuhle. Aufsteigen heißt hoffen. Auch wenn es sicher nicht immer leicht ist, denn die Dinge anders zu sehen, ist eine Herausforderung und bedarf ständiger Achtsamkeit. Südtirol, Italien, 2012 |
zeit Der Anfang ist mein Ende, und das Ende ist mein Anfang. Denn ich bin immer mehr davon überzeugt, dass es eine typische westliche Illusion ist, die Zeit für etwas Geradliniges zu halten, für Fortschritt. Nein, die Zeit ist nicht vorwärtsgerichtet. Sie wiederholt sich, sie dreht sich um sich selbst. Die Zeit ist kreisförmig. Das empfinde ich ganz stark. München, 2013 |
die letzte handbewegung Ein Bild, das mir bei der Loslösung von meinem Körper fast täglich in den Sinn kommt, ist das eines Zen-Mönchs, der sich in der Stille seiner Zelle vor ein Blatt Reispapier setzt, den Pinsel ergreift, ihn ins Tintenfaß taucht, sich sammelt und mit äußerster Konzentration einen Kreis malt. Einen Kreis, der nicht mit dem Zirkel gezogen wird, sondern mit der letzten Handbewegung auf dieser Erde. Das Leben,das sich schließt. Es ist dieser Kreis, den ich jetzt zu schließen suche. Ganderkesee, 2014 |